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Digitale Transformation verstehen

Wie Veränderung in den Köpfen beginnt

Ein Gespräch zwischen Werner Achtert und Prof. Dr. Kristina Lemmer

Ein Gespräch zwischen Werner Achtert und Prof. Dr. Kristina Lemmer

Die Studie Digital Transformation Mindset – Haltungswandel als Kern des digitalen Zeitalters von Prof. Dr. Kristina Lemmer untersucht, wie die innere Haltung von Mitarbeitenden den Erfolg der digitalen Transformation in Organisationen beeinflusst. Sie zeigt, dass Wandel nicht nur durch Technologie, sondern vor allem durch menschliche Bereitschaft, Reflexion und Emotionen gelingt. Das „Digital Transformation Mindset“ beschreibt eine dynamische Haltung, die kontinuierliches Lernen, Offenheit und aktive Gestaltung von Veränderung fördert – auf individueller wie organisationaler Ebene. Unser Kollege Werner Achtert beleuchtet im Interview mit Frau Dr. Lemmer, wie Digitalisierung nicht nur durch Technik, sondern vor allem durch Veränderungen im Denken und Fühlen der Menschen gelingt.

Achtert, Werner

Werner Achtert

Executive Business Consultant
Public Sector

Werner Achtert: Die Digitalisierung verändert unseren Alltag – für Mitarbeitende in Verwaltungen ebenso wie für Bürgerinnen und Bürger. Was hat Sie dazu bewogen, sich so intensiv mit dem Thema zu beschäftigen?

Lemmer, Kristina

Prof. Dr. Kristina Lemmer

Nach meiner Dissertation bin ich Chief Digital Officer in einem Landkreis geworden. Dabei habe ich gemerkt: Die Motivation für digitale Veränderung ist überall vorhanden – aber oft bleibt sie kurzlebig. Projekte starten mit viel Energie, laufen eine Weile gut, verlieren dann aber an Wirkung. Mich hat interessiert, woran das liegt. Warum gelingt es trotz Wissen, Strategien und Methoden nicht, Digitalisierung dauerhaft zu verankern?          
Ich wollte verstehen, was in den Köpfen passiert – was Menschen trotz Motivation bremst. So entstand die Idee, das Thema „Digital Transformation Mindset“ wissenschaftlich zu erforschen.

Das ist bereits der vierte Teil Ihrer Studie. Wie hat sich das entwickelt?

Lemmer, Kristina

Die Reihe begann mit meiner Dissertation zu „Digitalisierungsstrategien für Kommunen“. Danach folgte eine Studie zu „Digitalisierungskompetenzen“, weil wir sahen: Strategien reichen nicht, wenn Kompetenzen fehlen. 
Während der Corona-Zeit entstand die dritte Studie über „Moderne Arbeitswelten“, bei der es um Sinnhaftigkeit und Motivation in der Arbeit ging – also Purpose Driven Work. Diese Studien entstanden gemeinsam mit meinem Doktorvater Prof. Dr. Dr. Björn Niehaves im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung der Digitalen Modellregionen in Nordrhein-Westfalen.        
Jetzt, in der vierten Studie, geht es um das, was im Inneren passiert: Welche psychologischen und emotionalen Prozesse beeinflussen, ob digitale Transformation gelingt?

Also im Kern: Veränderung, Motivation und Verhalten – analog zu Change Management?

Lemmer, Kristina

Genau, aber noch tiefer. Wir verbinden klassische Change-Literatur mit Erkenntnissen aus der Wirtschaftsinformatik und der Psychologie, insbesondere mit neurowissenschaftlichen Aspekten. Uns interessiert, was im Gehirn geschieht, wenn Menschen Veränderungen erleben.

Gibt es typische Verhaltensmuster, wenn Menschen mit Veränderungen konfrontiert werden?

Lemmer, Kristina

Ja, durchaus. Die Reaktionen folgen oft ähnlichen Mustern. Viele kennen die „Change-Kurve“, die ursprünglich aus der Trauerforschung stammt – vom Schock über das Tal der Verunsicherung bis zur Akzeptanz. Wir haben diese Modelle angepasst, um sie auf digitale Transformationsprozesse zu übertragen.        
Dabei zeigt sich: Die gleichen emotionalen Mechanismen greifen auch hier. Menschen brauchen Zeit, um Altes loszulassen und Neues anzunehmen.

Wie hängt das mit dem Begriff Mindset zusammen? Gibt es einen Unterschied zwischen Mindset und Transformations-Mindset?

Lemmer, Kristina

Ein Mindset beschreibt grundsätzlich die Haltung, mit der Menschen auf die Welt blicken. Ein Transformations-Mindset ist eine spezifische Form davon: Es beschreibt die innere Bereitschaft, Veränderungen anzunehmen und sich flexibel auf Neues einzulassen.
Wir unterscheiden mehrere Ebenen:

  • Digital-Mindset: Fokus auf Technologieanwendung.
  • Transformations-Mindset: Fokus auf Veränderungsprozesse.
  • Digital-Transformation-Mindset: Die Verbindung beider – also die Haltung, mit der Menschen den fortlaufenden technologischen Wandel in der Organisation aktiv gestalten. Hier also auch die Verbindung der Wirkung, die der Einzelne durch sein Verhalten auf die gesamte Organisation hat innerhalb des Transformationsprozesses.                  
    Im Gegensatz zu statischen Mindset-Modellen verstehen wir das Mindset als dynamischen Prozess, der sich mit der technologischen und gesellschaftlichen Entwicklung weiterentwickelt. (a la wir können jeden Tag an unserem Schreibtisch, innerhalb unserer Prozesse uns optimieren und weiterentwickeln).

Das bedeutet, Menschen mit einem flexiblen Mindset empfinden Veränderung nicht als Bedrohung, sondern als Chance?

Lemmer, Kristina

Richtig. Aber evolutionär ist der Mensch eher sicherheitsorientiert. Veränderungen wecken zunächst Angst – ein natürlicher Schutzmechanismus. Diese emotionale Ebene ist entscheidend: Wenn wir Veränderung als Bedrohung erleben, blockieren wir. Wenn wir sie als Möglichkeit begreifen, öffnen wir uns. 
Unsere Studie zeigt: Emotionen sind der Schlüssel. Gerade in technischen Kontexten wird das oft unterschätzt.

Das erinnert mich an unsere Arbeit mit der Einführung von E-Akten in Verwaltungen. Da investieren Behörden viel in Schulungen und technische Erklärungen – aber wenig in den emotionalen Umgang mit Veränderung.

Lemmer, Kristina

So ist es. Schulungen adressieren die Sachebene, aber nicht das Gefühl. Die Frage „Wie fühlst du dich dabei?“ wird selten gestellt – und viele wollen sie auch nicht hören.
Wir arbeiten daher lieber mit Fragen wie: „Was ist deine größte Herausforderung?“ oder „Was verbindest du mit dieser Veränderung?“ Darüber kommen wir automatisch zu den Emotionen. Erst wenn Ängste erkannt werden, können sie abgebaut werden.

Wenn diese Ängste bleiben, helfen Schulungen also wenig?

Lemmer, Kristina

Ohne emotionale Entlastung bleibt jede Maßnahme Stückwerk. Wir haben das in Workshops oft erlebt: Wenn Menschen Angst haben, Fehler zu machen oder Kontrolle zu verlieren, blockieren sie – selbst bei bester technischer Ausstattung.        
Ein Beispiel: „Hannelore, 58“, Sachbearbeiterin kurz vor der Rente. Sie hat jahrelang mit Papierakten gearbeitet. Links der Eingangsstapel, rechts der Ausgangsstapel – am Abend sah sie, was sie geschafft hat. Dann kommt die E-Akte: kein sichtbarer Fortschritt, kein Stapel, kein sichtbarer Fleiß. Ihr vertrautes Erfolgserlebnis verschwindet – und damit ein Stück Identität.

Das kann ich nachvollziehen. Der Aktenstapel war ja auch ein Symbol für Leistung.

Lemmer, Kristina

Hannelore hat nicht nur Angst vor der Technik, sondern auch davor, dass man ihre Arbeit nicht mehr sieht. Früher galt: Wer viel Papier bewegt, arbeitet fleißig. Jetzt verschwindet alles digital. Das löst Unsicherheit aus.      
Wenn wir diese Angst erkennen und ernst nehmen, können wir sie in Motivation verwandeln. Erst wenn Emotionen angesprochen werden, kann sich eine neue Identität bilden – eine, die sich mit der digitalen Arbeitsweise identifiziert. Dann entsteht der berühmte Aha-Effekt, der Wandel erst möglich macht.

In der Praxis sehen wir oft, dass Beschäftigte technische Systeme ablehnen, weil sie sich kontrolliert fühlen. E-Akten oder Process-Mining-Systeme erfassen ja jede Aktion – das löst Unbe-hagen aus.

Lemmer, Kristina

Das ist ein klassisches Beispiel. Menschen verstehen oft nicht, was im Hintergrund passiert, und fürchten Überwachung. Früher konnte man mal fünf Minuten Kaffee trinken, ohne dass es jemand sah. Jetzt registriert das System jede Unterbrechung – auch wenn niemand Zeit hat, die Ursachen für Unterbrechungen zu prüfen.
Objektiv schafft die Technik mehr Autonomie, subjektiv empfinden viele das Gegenteil. Es geht also darum, Vertrauen aufzubauen – nicht nur Verständnis, sondern Gefühltes Vertrauen.

Das ist ein hoher Anspruch. Wie kann man als Organisation darauf reagieren?

Lemmer, Kristina

Indem man Veränderung als gemeinsamen Lernprozess versteht. Statt Druck aufzubauen, hilft es, Räume für Dialog und Reflexion zu schaffen. Wenn Menschen über ihre Sorgen sprechen können, sinkt der Widerstand.                 
Veränderung braucht nicht nur Schulung, sondern auch Empathie. Wer emotionale Sicherheit empfindet, ist offen für Neues.

"Statt Druck aufzubauen, hilft es, Räume für Dialog und Reflexion zu schaffen. Wenn Menschen über ihre Sorgen sprechen können, sinkt der Widerstand. Veränderung braucht nicht nur Schulung, sondern auch Empathie. Wer emotionale Sicherheit empfindet, ist offen für Neues."

Also muss Transformation immer auf mehreren Ebenen stattfinden – technisch, organisatorisch und emotional?

Lemmer, Kristina

Genau. In unserer „Anatomie der Transformation“ unterscheiden wir verschiedene Ebenen: Struktur, Emotion, Identität und Verhalten.    
Erst wenn die emotionale Ebene stabil ist, kann sich eine neue Identität bilden – also die innere Zustimmung zur Veränderung. Das ist die Voraussetzung für nachhaltige digitale Transformation.

Wie viel hängt bei Transformation eigentlich vom Einzelnen ab – und wie viel von der Organisation? Ist das Mindset eine persönliche Eigenschaft oder auch eine Organisationseigenschaft?

Lemmer, Kristina

Beides. Jede Organisation besteht aus Menschen, und jeder Einzelne kann etwas bewegen. In Verwaltungen habe ich viele Mitarbeitende erlebt, die privat digitalaffin sind, im Büro aber ausgebremst werden – durch Strukturen oder fehlende Freiräume.
In einem Workshop hat mir einmal jemand gesagt: „Wir können gar nicht so lösungsorientiert denken, das hat uns das System abtrainiert.“             
Das war ehrlich – und aufschlussreich. Verwaltung arbeitet verständlicherweise mit hoher Genauigkeit und geringer Fehlertoleranz. Aber wenn wir keinen Raum für Fehler lassen, verhindern wir Innovation. Wir brauchen geschützte Lernräume, um Neues auszuprobieren.

Also Veränderung beginnt beim Einzelnen – aber das System muss sie ermöglichen.

Lemmer, Kristina

Genau. Es geht um Mut und Verantwortung im eigenen Wirkungskreis. Jeder hat Spielräume, auch im öffentlichen Dienst. Wenn sich einzelne Mitarbeitende trauen, Dinge zu verändern, entsteht Dynamik.                
Das haben wir etwa bei den „Digital-Lotsen“ gesehen: engagierte Personen, die als Multiplikatoren wirken und andere mitziehen. Sobald erste Erfolge sichtbar werden, steigt die Motivation im gesamten Team.

Das erinnert mich an Ihre Studie mit Tablets in der Verwaltung. Da hatten einige Teams Tablets, andere nicht.

Lemmer, Kristina

Das stimmt. Wir haben festgestellt, dass Mitarbeitende mit Tablets trotz steigender Arbeitslast weniger Stress empfanden. Sie konnten flexibler arbeiten, Termine besser koordinieren und Aufgaben unterwegs erledigen. Am Ende wollten sogar die anfänglich skeptischen Kolleginnen und Kollegen ein Tablet – weil sie den praktischen Nutzen gesehen und gespürt haben. Veränderung überzeugt über Erfahrung, nicht über Anweisung.

Das bringt mich zu einem kritischen Punkt: In Verwaltungen gibt es kaum materielle Anreize. Warum sollte jemand mehr leisten oder schneller digital arbeiten?

Lemmer, Kristina

In der Verwaltung geht es selten um Boni oder finanzielle Anreize. Die Motivation ist eine andere: Der Sinn der Arbeit – der Beitrag zum Gemeinwohl. Viele sind in den öffentlichen Dienst gegangen, weil sie etwas für die Gesellschaft tun wollen.           
Wenn sie merken, dass digitale Werkzeuge ihnen helfen, diesen Sinn besser zu erfüllen – etwa durch schnellere Bearbeitung oder bessere Bürgerorientierung –, ist das oft der stärkste Antrieb.

Also muss die Organisation dafür sorgen, dass Technik diesen Sinn unterstützt.

Lemmer, Kristina

Genau. Mitarbeitende wollen das Gefühl haben, dass ihre Arbeit Wirkung hat. Wenn Technik sie behindert oder Prozesse zu kompliziert sind, entsteht Frust. Wenn sie aber spüren, dass Digitalisierung ihre Arbeit erleichtert und den Bürgerinnen und Bürgern nutzt, wächst die Akzeptanz automatisch.

Ein großes Thema ist derzeit Künstliche Intelligenz. Sie verändert Arbeitsprozesse noch stärker. Wie wirkt sich das auf das Mindset aus?

Lemmer, Kristina

KI ist ein Paradebeispiel für tiefgreifende Transformation. Sie verändert Strukturen, Rollen und Verantwortlichkeiten. Wenn etwa generative KI E-Mails schreibt oder Anträge prüft, erleben viele zunächst Schock oder Skepsis.      
In unserer Studie beschreiben wir das als Wechsel von Struktur über eine Anastruktur hin zur Antistruktur. Das klingt theoretisch, ist aber einfach: Menschen halten oft an alten Gewohnheiten fest, während sie parallel Neues ausprobieren – eine Art „Doppelführung“. Die Orientierung findet also anhand zwei verschiedener Merkmale statt. Diese Übergangsphase ist notwendig, damit Vertrauen wächst. Erst wenn die neue Struktur zur Routine wird, verschwindet die alte.

Also eine bewusste Hybridphase zwischen Alt und Neu?

Lemmer, Kristina

So könnte man das sagen, ja. Viele Organisationen wollen sofort alles umstellen – das funktioniert selten. Besser ist, Hybridstrukturen gezielt zuzulassen: Papierakte und E-Akte eine Zeit lang parallel, analoge und digitale Prozesse nebeneinander.     
So entsteht Sicherheit. Mitarbeitende erleben selbst, dass die neue Methode funktioniert, und lösen sich dann freiwillig vom Alten. Das erzeugt Akzeptanz statt des Gefühls des Zwangs.

Bei der Entwicklung eines Fachverfahrens zur automatisierten Antragsbearbeitung haben wir ein KI-gestütztes System zur Erkennung möglicher Fehler in der Abrechnung integriert. Die Genauigkeit der Prüfung konnte über Parameter konfiguriert werden und aus Misstrauen gegenüber dem automatisierten Verfahren hat der Kunde die Sicherheitsparameter so eng gestellt, dass fast jeder zweite Fall als „prüfbedürftig“ markiert wurde. Das System wurde abgelehnt – obwohl wir im Nachhinein nachweisen konnten, dass im automatisierten Verfahren weniger Fehler passiert sind als vorher bei rein manueller Bearbeitung.

Lemmer, Kristina

Ein typischer Fall! Das zeigt, wie Emotion, Vertrauen und Struktur zusammenhängen. Wenn Menschen einem System nicht trauen, verstärken sie Kontrolle – und blockieren dadurch die Effizienz, die sie eigentlich wollen.     
Deshalb ist Vertrauen eine zentrale Komponente digitaler Transformation. Und Vertrauen wächst durch Verstehen und Erleben – nicht durch Druck.

Was bedeutet das für den Ansatz „Digital Only“ – also wenn analoge Prozesse vollständig abgeschafft werden?

Lemmer, Kristina

Digital Only ist langfristig sinnvoll, aber nur, wenn der Übergang klug gestaltet wird. Wir brauchen Phasen des Miteinanders – Hybridmodelle, in denen niemand zurückgelassen wird.                 
Ein Beispiel sind Digital-Lotsen, die Bürgerinnen und Bürger individuell begleiten. Besonders ältere Generationen brauchen Unterstützung, um den Schritt ins rein Digitale zu schaffen. Jüngere fordern Digitalisierung längst selbstverständlich ein – wir müssen beide Gruppen zusammenbringen.

Das führt uns zur Staatsmodernisierung. Es gibt ja jetzt sogar ein eigenes Ministerium dafür. Wie hängen Digitalisierung und Staatsmodernisierung zusammen?

Lemmer, Kristina

Sehr eng. Das „Digital Transformation Mindset“ lässt sich auf Staatsmodernisierung übertragen. Es geht um denselben Kern: Veränderungsfähigkeit und Anpassung an komplexe Systeme.                
Während Digitalisierung auf Technologie fokussiert, betrachtet Staatsmodernisierung die Organisation als Ganzes – Prozesse, Zuständigkeiten, Arbeitskultur. Beides braucht dieselbe Haltung: Offenheit, Lernbereitschaft und Vertrauen in den Wandel.

Wenn wir Staatsmodernisierung ernst nehmen, müssten wir auch über Zuständigkeiten sprechen – unser föderales System ist ja extrem fragmentiert.

Lemmer, Kristina

Absolut. Föderalismus hat viele Vorteile, aber er erschwert Standardisierung. Länder wie Dänemark oder Estland zeigen, wie effizient einheitliche digitale Systeme sein können. In Deutschland führt die Vielfalt der Zuständigkeiten oft zu Doppelstrukturen und komplizierten Prozessen.               
Einheitliche IT-Architekturen würden vieles vereinfachen – aber das erfordert Mut, alte Strukturen loszulassen. Auch hier gilt: Veränderung ist nicht nur technisch, sondern emotional. Zuständigkeiten aufzugeben heißt, Kontrolle aufzugeben – das erzeugt Widerstand.

Staatsmodernisierung heißt also auch, Machtstrukturen zu verändern.

Lemmer, Kristina

Und das geht nur, wenn die Beteiligten verstehen, warum. Wenn klar wird, dass Vereinfachung und Kooperation allen nutzen, steigt die Bereitschaft. Wir müssen den Wandel als gemeinsamen Gewinn begreifen, nicht als Bedrohung einzelner Interessen.

Lassen Sie uns zum Abschluss auf die individuelle Ebene zurückkommen. Welche Empfehlungen geben Sie Mitarbeitenden in Verwaltungen mit?

Lemmer, Kristina

Erstens: Mut zur Veränderung. Jeder kann in seinem Bereich etwas anstoßen. Es beginnt mit der Frage: Was kann ich verbessern, um Bürgerinnen und Bürgern besser zu helfen?           
Zweitens: Sinnorientierung. Wer sich auf den Zweck seiner Arbeit besinnt, findet leichter Motivation. Digitalisierung ist kein Selbstzweck, sondern ein Werkzeug, um gesellschaftlichen Nutzen zu stiften.   
Drittens: Verständnis füreinander. Veränderung verläuft bei jedem unterschiedlich schnell. Teams sollten akzeptieren, dass Menschen unterschiedlich reagieren. Wer hinterfragt, warum etwas nicht funktioniert, statt zu urteilen, fördert Zusammenarbeit.       
Und viertens: Emotionale Offenheit. Angst ist normal. Entscheidend ist, sie anzusprechen und in Zuversicht zu verwandeln. Führungskräfte sollten weniger fragen „Warum klappt das nicht?“ und mehr „Was brauchst du, damit es klappt?“

Das klingt nach einem Paradigmenwechsel – von Kontrolle zu Vertrauen.

Lemmer, Kristina

Ja, genau das ist Transformation: nicht nur Systeme verändern, sondern Haltungen. Wenn wir das verstehen, wird Digitalisierung nicht zur Belastung, sondern zur Chance für eine menschlichere, flexiblere Verwaltung.

Im Interview

Lemmer, Kristina

Prof. Dr. Kristina Lemmer

Christian R. Ulbrich ist Leiter und Mitbegründer der Forschungsstelle für Digitalisierung in Staat und Verwaltung (e-PIAF) an der Universität Basel, wo er das Forschungsprojekt zum digitalen Staat initiierte und bis heute betreut. Zuvor arbeitete er zu den disruptiven Folgen digitaler Steuerbehörden in einem der global führenden Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen. Er beschäftigt sich seit mehr als zehn Jahren intensiv mit der digitalen Transformation von Staat, Gesellschaft und Unternehmen.

Ihr Ansprechpartner

Achtert, Werner

Werner Achtert

Werner Achtert ist Executive Business Consultant bei msg Public Sector. Seine inhaltlichen Schwerpunkte sind die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung sowie Methoden zu deren Innovation, zum Beispiel Design Thinking und agiles Management. Im Themenfeld KI setzt er sich neben den technischen Möglichkeiten mit den rechtlichen und gesellschaftspolitischen Auswirkungen auseinander. Als ehrenamtliches Mitglied im Vorstand des NEGZ und Sprecher des Arbeitskreises Cloud engagiert er sich im digitalpolitischen Diskurs zwischen Verwaltung, Wissenschaft und Wirtschaft.