Innovation organisieren in der Verwaltung und durch die Verwaltung – Wozu?
Der Staat ist ein System öffentlicher Institutionen zur Regelung der Angelegenheiten eines Gemeinwesens der in einem bestimmten abgegrenzten Territorium zusammenlebenden Menschen. Zum Staat gehört insbesondere eine politische Instanz, die zur Schaffung und Wahrung von Recht und öffentlicher Ordnung in der Gesellschaft zuständig ist und diese mittels einer Verwaltung, demStaatsapparat, durchsetzen kann.
Diese politikwissenschaftliche Definition gilt zwar noch immer, trägt jedoch nicht dem Umstand Rechnung, dass Bürger und Unternehmen sich zunehmend als Servicenehmer und damit auch als Kunden der Verwaltung verstehen. Zudem ergeben sich für den Staat in der vernetzten Internetgesellschaft ganz neue Herausforderungen, die mindestens ein schnelles und agiles Reagieren notwendig machen und, besser noch, mehr Proaktivität vom Staat verlangen.
Sich zu erneuern, wird daher auch für Politik und die Verwaltung eine zunehmend wichtige und dringliche Aufgabe. Beschränkt man sich auf die Verwaltung, dann geht es darum, die Behörde und ihre Dienste für Servicenehmer (Behörden, Unternehmen, Bürger) so aufzustellen, dass sie den steigenden digitalen Ansprüchen der Kunden gerecht wird, sich von der technischen Entwicklung nicht abhängen lässt und darüber hinaus in der Lage ist, ihr neu zuwachsende Aufgaben zu erfüllen. Die Verwaltung schafft in gewissem Sinne auch die Grundlagen für die Erneuerung anderer gesellschaftlicher Gruppen. Das Verwaltungshandeln hat daher unmittelbar Konsequenzen für die Innovationsfähigkeit der Wirtschaft und ergo für die Entwicklung des Wirtschaftsstandortes, weil Verwaltungshandeln adäquate Infrastrukturen bereit stellt oder – im einfachsten Fall – Innovationsfähigkeit nicht hemmt.
Das klingt abstrakt – behandeln wir daher das Ganze an einem Beispiel. Damit aus einer Idee ein Geschäftsmodell wird, und damit vielleicht sogar eine echte Innovation, muss eine Firma gegründet werden. Dieser Vorgang dauert in Deutschland heute vier bis sechs Monate und erfordert zahlreiche Schriftwechsel, Wartezeiten und Präsenztermine sowie einen nennenswerten finanziellen Aufwand. Ganz anders im US-Bundesstaat Delaware. Hier ist eine Firmengründung online möglich und kostet den Antragsteller ungefähr zehn bis fünfzehn Minuten seiner Zeit; bis im letzten Schritt ein entsprechendes Bankkonto verfügbar ist, vergeht etwa eine Woche.
Noch einen Schritt weiter geht Estland (oder E-stonia, wie es sich selbst nennt) mit der digitalen Staatsbürgerschaft. Für die kann sich bereits seit 2014 jeder bewerben, und zwar unabhängig davon, wo er oder sie einen Wohnsitz hat, und ohne sich in Estland aufzuhalten. Estlands digitale Staatsbürger können sämtliche online verfügbaren Dienstleistungen des Staates nutzen, darunter auch die, ein Unternehmen zu gründen und „von unterwegs“ zu verwalten. Über 5.000 Unternehmen haben die mehr als 30.000 E-Staatsbürger Estlands bereits gegründet. Das ist nicht nur eine innovative Verwaltungsidee, davon profitieren auch der estnische Staat und die wirtschaftliche Entwicklung des kleinen Landes.
Die Politik in Deutschland hat das Prinzip verstanden und über verschiedene Ressorts eine ganze Reihe von Aktivitäten angestoßen, die dafür sorgen sollen, dass Deutschland zum einen den Anschluss in der Digitalisierung nicht verliert. Und zum anderen (wieder) innovativ und technologisch (und damit wirtschaftlich) führend wird.
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Werner Achtert
Geschäftsleitung Public Sector
+49 69 580045 1222
werner.achtert@msg.group
Was ist Innovation in der Verwaltung?
Dass die Unternehmensgründung in Delaware online erfolgen kann, ist vorbildhaft, doch gehen die US-Amerikaner noch weiter. Der Staat Delaware unterhält den Court of Chancery, ein auf Unternehmensrecht spezialisiertes Gericht. Die Richter behandeln dort Tag für Tag komplizierte Fälle von Rechtsauseinandersetzungen zwischen Unternehmen. Alle Unterlagen und Anträge werden elektronisch eingereicht, alle Urteile in digitaler Form begründet. Die bisherige Spruchpraxis ist dadurch auch online verfügbar und kann eingesehen werden. So kann sich jeder schnell ein Bild von seinen Chancen für Klagen oder, falls beklagt, für seine Verteidigung machen. Dadurch beginnen und enden Verfahren sehr zügig. In Deutschland verläuft ein Gerichtsverfahren komplett analog und dauert zudem viele Monate.
Ohne Zweifel sind das echte Innovationen. Der interessante Punkt daran ist, dass hierbei keine neue Technologie, sondern im Gegenteil, schon Jahrzehnte verfügbare Technik zum Einsatz kam. Die Innovation liegt alleine in den Prozessen und der Organisationsform des Registergerichts. Voraussetzung dafür sind ein zentrales Handelsregister, eine Website und die Benennung von Registerführern, eine Funktion, die der Staat selbst übernehmen kann, aber nicht muss. Die eigentliche Herausforderung liegt darin, die bestehenden Prozesse zu überprüfen, neue – vom Kunden her gedachte – Prozesse zu definieren und diese Veränderungen in der Organisation zielorientiert und zugleich verantwortungsvoll voranzutreiben.
Innovation – das ist also nicht notwendigerweise ein neuartiges Produkt basierend auf neuester Technologie oder überhaupt eine technische Neuentwicklung. Man kann sich das Innovationspotenzial einer Organisation wie einen Eisberg vorstellen, mit einem kleinen, von außen sichtbaren Anteil und einem viel größeren Anteil, der von außen nicht direkt wahrnehmbar ist. Den „unsichtbaren“ Teil des Innovationspotenzials zu heben, wird aus Sicht eines Kunden (Bürger,Unternehmen, andere Verwaltungseinheit) durch optimale Reaktionszeiten, Kommunikationsverhalten einer Organisation, Zugänglichkeit von Services, Verlässlichkeit, wahrgenommen. Sichtbar werden Innovationen der Verwaltung dann als neue oder veränderte Produkte beziehungsweise qualitativ höherwertige Dienstleistungen, sei es für Bürger, Unternehmen oder andere Behörden. Um im Bilde zu bleiben: Die zeitlich und inhaltlich optimale Interaktion mit anderen Behörden liegt unterhalb der Wasserlinie und wird in der Außenwahrnehmung „nur“ als optimale Reaktion auf Serviceanfragen wahrgenommen. Daher sind prozess- und organisationsbezogene Innovationen komplett nach innen gerichtete Erneuerungen. Sie betreffen und beeinflussen dennoch direkt die Leistungserbringung, etwa durch einen veränderten Softwareeinsatz, durch neue Abläufe oder eine neue Arbeitsplatzorganisation.
Die OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) unterscheidet vier Typen von Innovation:
Produktinnovationen sind Güter oder Dienstleistungen, die in ihren Produkteigenschaften oder dem Anwendungsgebiet neu oder signifikant verbessert sind. Unter Prozessinnovationen versteht man die Realisierung einer neuen oder signifikant verbesserten Herstellungs- oder Verteilungsmethode. Von Marketinginnovationen spricht man bei der Realisierung einer neuen Marketingmethode mit Veränderungen in Produktdesign, -darstellung oder -verpackung, Produktdistribution, -kommu-nikation oder -preisgestaltung. Von Organisationsinnovationen hingegen bei der Realisierung einer neuen Organisationsmethodik im Geschäftsablauf, in der Arbeitsplatzorganisation oder in den
externen Beziehungen. Dabei ist das Feld Marketing sicherlich von der geringsten Relevanz in der Verwaltung. Sehr wohl aber von Bedeutung sind neue, am Markt, also am Verwaltungskunden, orientierte Dienstleistungen und die Art und Weise, wie diese zustande kommen. Also die Prozesse und die Organisation dahinter mit einem großen Einfluss auf die Effektivität und die Effizienz der Leistung beziehungsweise auf die Produktivität und die Kosten.
Innovationen entstehen in der Abfolge: Idee -> Erfindung -> Marktdurchdringung -> Innovation.
Wie geht also „Innovation organisieren“
Wie oben beschrieben, sind Erneuerungen in den Prozessabläufen und in der Organisation von Institutionen ein probates Mittel, innovativ zu sein und sich neu aufzustellen, um sich aktuellen Herausforderungen zu stellen. Die Innovation kommt nicht aus der Technik, es sind die Organisationsaufstellungen und -abläufe, die es zu modernisieren gilt. Dabei kann und muss Technik eingesetzt werden, aber es reicht „normale Technik“. Und um Veränderungen in Organisationen anzustoßen, braucht man den Willen von ganz weit oben.
Wenn digitale Verwaltung in Deutschland wirklich gewollt ist, darf man erwarten, dass die Politik dafür eine Vision und eine Strategie, also einen Plan hat. Aber selbst wenn sie keine Vision und keine Strategie hat, ist das keine Ausrede für nachgeordnete Behörden oder für die Bundesländer in Deutschland, nichts zu tun. Es muss ja nicht alles im Gesetz stehen, es gibt genügend Gestaltungsspielräume im eigenen Verantwortungsbereich, im eigenen Bundesland anzufangen und sich eine Digitalstrategie zu geben. Vorausgesetzt auch hier: Der Wille muss von ganz oben kommen; in diesem Fall von der Behördenleitung.
Das beschriebene Beispiel der Unternehmensgründung per Internet in Minuten kann schließlich auch von einem Bundesland in Deutschland umgesetzt werden: Hamburg, Bremen, Berlin, Baden-Württemberg, ...?
Ideen zu fördern, ist nur der erste, aber ein wichtiger Schritt. Viele Unternehmen und Organisationen haben das verstanden und beispielsweise Räume geschaffen, in denen im besonderen Maße Kreativität möglich wird: hell und offen, mit moderner Technik und einer angenehmen Atmosphäre. Auch die msg nutzt solche Räume für sich und ihre Kunden. Hier entsteht vielleicht nicht nur eine gute Idee, hier lässt sich auch gut darüber nachdenken, wie sie umgesetzt werden kann. Das alleine ZeitAufmerksamkeit / ErwartungenTechnologischerAuslöserGipfel der überzogenenErwartungenTal derEnttäuschungPfad der ErleuchtungPlateau der Produktivität reicht aber nicht: Eine Vision zu haben und eine sorgfältig bedachte Strategie, ist erst der Anfang. Denn Organisationenund Organisationskulturen sind meist eher träge und beharrlich. Der bekannte Management-Berater Peter Drucker hat diesen Umstand auf den Punkt gebracht: „Culture eats strategy for breakfast.“. Eine noch so ausgefeilte Strategie scheitert am Beharrungsvermögen von Organisationen. Um dem zu begegnen gilt es, die Menschen mitzunehmen und damit sukzessive die Kultur zu verändern, das heißt die Bereitschaft und den Willen zur (stetigen) Weiterentwicklung in der Kultur zu verankern. Zudem müssen die Initiative sowie notwendige Richtungsentscheidungen vom Top-Management ausgehen . Der Change-Management-Papst John P. Kotter hat dafür acht Schritte benannt:
Erzeugen Sie erstens ein Gefühl von Dringlichkeit. Diese Dringlichkeit liegt für die öffentliche Verwaltung, wie eingangs skizziert, auf der Hand. Bauen Sie zweitens eine Führungskoalition auf und entwickeln Sie drittens eine Vision und eine Strategie. Viertens, kommunizieren Sie die Vision und die Strategie und erzeugen Sie Begeisterung. Befähigen Sie fünftens Ihre Mitarbeiter auf breiter Basis. Sechstens, erzielen sie schnelle Erfolge und siebtens, konsolidieren Sie die Erfolge und leiten Sie weitere Veränderungen ein. Und schließlich achtens, verankern Sie die neuen Ansätze in der Kultur der Organisation.
Machen Sie deutlich, wie die Organisation und wie jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin von der Veränderung profitiert. Dies alles gilt für Digitalisierungsprojekte ebenso wie für rein organisations-bezogene Innovationen.