Zuerst erschienen in der Ausgabe .public 04-2019
von Dr. Michael Scholz und Florian Wüchner
Welche Technologien auf dem Weg zur intelligenten Verwaltung ins Spiel kommen
Als Nutzer eines E-Shops erwarten wir, dass wir diesen Shop zu jeder Zeit, an jedem Ort und mit jedem Gerät derart einfach benutzen können, dass wir keinerlei Hilfestellungen von Dritten benötigen. Haben wir doch einmal eine Frage an die Shop-Betreiber, so erwarten wir eine Antwort innerhalb von maximal 24 Stunden, besser noch in Echtzeit per Chat. Heutige E-Shops erfüllen diese Erwartungen und gehen mit ihren Serviceleistungen oftmals darüber hinaus. So bieten einige E-Shops für Bekleidung smarte Softwarelösungen, die es Kunden erleichtern, per Videoanalyse die für sie passende Konfektionsgröße zu ermitteln. Kunden sind es daher mehr und mehr gewohnt, intelligente Unterstützung bei komplexen Entscheidungen zur Verfügung zu haben.
Kunden von E-Shops sind zugleich auch Kunden der öffentlichen Verwaltung und zum Teil auch Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung. Erwartungen, die Kunden an E-Shops und andere privatwirtschaftliche Internetanwendungen haben, übertragen sie auch auf die Internetangebote der öffentlichen Verwaltung, insbesondere wenn privatwirtschaftliche Internetanwendungen diese Erwartungen erfüllen bzw. sogar übererfüllen. Die öffentliche Verwaltung steht daher zunehmend unter Druck, Fachverfahren nicht nur zu digitalisieren, sondern ihren Kunden sowie ihren Mitarbeitern ein ähnlich befriedigendes Bedienerlebnis zu bieten, wie dies privatwirtschaftliche Internetanwendungen (potenziell) tun.
Um die Dienstleistungen der öffentlichen Verwaltung den Kundenerwartungen anzupassen, stand in der ersten Phase die Digitalisierung von Dienstleistungen im Fokus. Die digitalen Dienstleistungen aus dieser Phase werden unter dem Begriff E-Government kategorisiert und nutzen keine oder sehr selten Algorithmen aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz. Sie setzen eher auf kleinen Datenmengen auf und nutzen keine vernetzten Sensoren.
Smart Government = E-Government + Big Data + KI + Sensoren
In der zweiten Phase der Digitalisierung von Dienstleistungen der öffentlichen Verwaltung steht nun nicht mehr die reine Transformation von ehemals papierbasierten Geschäftsprozessen hin zu digitalen Prozessen im Vordergrund, sondern vielmehr die Befähigung von IT-Systemen, das Handeln der öffentlichen Verwaltung intelligent und nutzerzentriert zu unterstützen. Daher wird auch von Smart Government in Abgrenzung zum E-Government der ersten Phase gesprochen. Ein smartes Regierungs- und Verwaltungshandeln ist insbesondere möglich durch die
- Unterstützung von strukturierten und vor allem unstrukturierten Entscheidungen,
- Integration von Daten, Prozessen und Services sowie die
- Nutzerzentrierung.
Die Unterstützung insbesondere von unstrukturierten Entscheidungen verlangt die Verwendung von lernfähigen Algorithmen sowie einer großen Menge an Daten, um eine Entscheidung fundiert zu treffen und die lernfähigen Algorithmen zu trainieren. Um Entscheidungen teil- oder vollautomatisiert treffen zu können, reicht es jedoch nicht aus, die richtigen Algorithmen am Start zu haben. Vielmehr müssen diese auf alle relevanten Daten zugreifen können. Damit die Daten konsistent über mehrere Prozessschritte und auch über mehrere Prozesse hinweg genutzt werden können und um Entscheidungen zu treffen, ist es notwendig, dass sowohl Daten als auch Prozesse und Services integriert sind. Um die Erwartungen der Benutzer von Smart- Government-Lösungen zu erfüllen, aber auch um Daten komplett digital und in konsistenter, vollständiger und korrekter Form zu erhalten, ist eine Nutzerzentrierung unabdingbar.
Für Smart-Government-Lösungen ist die Nutzerzentrierung entscheidend
Eine Nutzerzentrierung kann allerdings nur gelingen, wenn man sich klarmacht, welche Sichtweise die Benutzer haben und welche Anforderungen sich daraus ableiten lassen. Benutzer von Smart-Government-Lösungen sind Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung. Alle Benutzergruppen sehen in einer Smart-Government-Lösung ein Werkzeug zur Erleichterung ihrer Aufgaben. Daraus lassen sich vier zentrale Anforderungen ableiten. Benutzer erwarten von einer Smart-Government-Lösung:
1. Vorschläge bei diversen Teilaufgaben
2. Vermeidung doppelter Aufwände
3. Gleichartige Unterstützung verschiedener Prozesse und
4. Ortsunabhängige Nutzung
Kunden und Unternehmen sehen die öffentliche Verwaltung als eine Serviceeinheit und nicht als eine Vielzahl von Organisationen mit verschiedenen Referaten und Abteilungen. Daraus leiten sich die folgenden vier Anforderungen ab. Benutzer erwarten:
1. eine integrierte Smart-Government-Lösung nach dem Once-Only-Prinzip,
2. eine zeitunabhängige Nutzung von Smart-Government- Lösungen,
3. eine zeitnahe Bearbeitung ihrer Anliegen,
4. jeder Zeit Transparenz über den aktuellen Bearbeitungsstand.
Smart-Government-Technologien bestehen aus mehr als Daten und Algorithmen
Damit diese Anforderungen erfüllt werden können, darf eine Smart-Government-Lösung aus technischer Sicht nicht nur auf die Digitalisierung von bestehenden Antragsformularen beschränkt sein. Vielmehr besteht eine Smart-Government-Lösung aus technischer Sicht aus fünf Bestandteilen: einer vernetzten Infrastruktur, großen Daten, einer intelligenten Datenverarbeitung, digitalen Services und integrierten Portalen (siehe Abbildung 1).
Abbildung 1: Smart-Government-Technologien
Entscheidungen in der öffentlichen Verwaltung
Der Kern vieler Services der öffentlichen Verwaltung ist das Treffen von Entscheidungen. Hierunter fallen beispielsweise: Genehmigung von Anträgen, Zahlung von Fördermitteln, Antworten auf Bürgeranfragen oder Erlass von Bescheiden. Entscheidungen im Aufgabengebiet der öffentlichen Verwaltung lassen sich nur intelligent unterstützen, wenn Daten vorliegen, die eine Entscheidung (z. B. über einen Antrag) erlauben. Für eine intelligente Unterstützung sind zumeist sowohl historische Entscheidungsdaten als auch Daten für die aktuelle Entscheidung notwendig. Aus den historischen Entscheidungsdaten können mittels Methoden des maschinellen Lernens Beziehungen zwischen Entscheidungen (z. B. Genehmigung oder Ablehnung eines Antrages) und Entscheidungsdaten (z. B. Antragsdaten) gelernt werden, die dann auf neue Entscheidungsdaten angewendet werden können, um eine Entscheidung vorzubereiten oder zu treffen.
Viele für Entscheidungen relevante oder unterstützende Daten könnten mit einer vernetzten Infrastruktur, die sich aus öffentlichen und aus privaten IoT-Geräten speist, erhoben werden. Diese Daten würden durch Daten aus (Antrags- oder Vorgangs-) Dokumenten verknüpft werden. Diese Verknüpfungen thematisch und strukturell verschiedener Datenquellen würden insbesondere bei Smart-Government-Lösungen nach dem Once- Only-Prinzip relevant.
Solch komplexe, vernetzte Entscheidungsdaten ließen sich folgerichtig viel hochwertiger durch KI-Algorithmen verarbeiten und den Bürgern – zum Beispiel in Form von Chatbot-Konversationen oder Bewertungen von Anträgen – übermitteln.
Erfolgreiche Smart-Government-Lösungen müssen integriert sein
Smart-Government-Lösungen stellen digitale Services sowohl für die Bürger und Unternehmen als auch die Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung zur Verfügung. Viele der Daten der öffentlichen Verwaltung sind nicht personenbezogen und unterliegen keiner besonderen Sicherheitsstufe (z. B. Flusspegelstände, Schuladressen) und können daher potenziell über Open-Data-Services Dritten zur Verfügung gestellt werden. Dies ermöglicht zum einen die Entwicklung weiterer innovativer Services und zum anderen die Integration von Daten in einen oder mehrere Services. Erst die Entwicklung integrierter Portale, wie zum Beispiel das dänische Bürgerportal borger.dk1, gewährleistet eine einfache und über mehrere Services hinweg konsistente Bedienbarkeit. Ein integriertes Portal stellt damit eine essenzielle Voraussetzung für die Nutzung von Smart-Government- Lösungen seitens der Bürgerinnen, Bürger und Unternehmen dar.
Erfolgreiche-Smart-Government-Lösungen werden diskutiert und transparent eingeführt
Neben der technologischen Sicht ist die organisatorische Sicht entscheidend für den Erfolg von Smart-Government-Lösungen. Damit eine Daten-, Prozess- und Serviceintegration gelingen kann, ist eine ressortübergreifende Kommunikation und Kooperation notwendig. Eine Ressorthoheit bei der Beschaffung und Entwicklung von IT-Lösungen führt zu einer Vielzahl an unterschiedlichen Services, Prozessen und Datenformaten für gleichartige Geschäftsvorfälle. Insbesondere die Entwicklung von Smart-Government-Lösungen, aber auch die Einführung dieser verlangen nach agilen Teams und agilen Vorgehen in der gesamten Organisation. Smart-Government-Lösungen sind in vielerlei Hinsicht neu und innovativ, so dass eine Entwicklung und Einführung nach klassischem Vorgehen nicht gelingen wird. Die Entwicklung von Smart-Government-Lösungen verlangt ferner eine Mischung verschiedener Kompetenzen. Neben Softwareentwicklern sind Datenwissenschaftler, Juristen, Fachspezialisten, Organisations- und Personalentwickler sowie Projektmanager gefragte Rollen bei der Umsetzung von Smart-Government-Lösungen. Insbesondere die Auswirkungen von KI-Technologien sind in der jüngsten Zeit immer wieder Gegenstand von juristischen und gesellschaftlichen Diskussionen. Eine transparente Gestaltung der Einführung, Datenspeicherung und Datenverarbeitung sowie eine offene Diskussion über KI sind daher weitere Erfolgsfaktoren für Smart-Government- Lösungen.
Integrierte Portale mit verschiedenen Smart-Government- Services wurden bereits in einigen Ländern wie Dänemark (siehe oben) und Estland eingeführt.2 Der Zugang zu den Services erfolgt über eine einheitliche ID. Es sind bei diesen Smart-Government- Lösungen nicht nur die Services integriert, sondern auch die behördeninternen Prozesse und Daten. So hat beispielsweise die Polizei in Estland Zugriff auf über 15 estnische Verwaltungsdatenbanken (z. B. Personen- und Fahrzeugregister) sowie einige internationale Datenbanken (z. B. Interpol). Durch eine sichere Verbindung sind Einsatzfahrzeuge mit den Einsatzzentralen verbunden und können in Echtzeit auf Daten zugreifen. Diese Daten sind die Grundlage für verschiedene Algorithmen, mit denen beispielsweise die Einsatzplanung optimiert wird. In Deutschland ist eine solch starke Datenintegration aus juristischer und gesellschaftlicher Sicht bislang nicht denkbar.
Fazit
Smart Government ist ein nicht fest definierter Begriff, der ausdrücken soll, dass Technologien in der öffentlichen Verwaltung verwendet werden, die ein intelligentes Verwaltungs- und Regierungshandeln ermöglichen. Smart-Government-Lösungen vereinen daher verschiedene Technologien, die dazu dienen, Entscheidungen ihrer Nutzer und Kunden intelligent zu unterstützen. Dazu muss eine Smart-Government-Lösung von Beginn an nutzerzentriert gedacht und umgesetzt werden. Ferner muss auch die öffentliche Verwaltung an die fortwährende digitale Transformation angepasst werden.
Quellenangaben:
1 https://www.borger.dk/ (abgerufen am 07.10.2019).
2 https://www.eesti.ee/en/ (abgerufen am 07.10.2019).