24.07.2022
In deutschen Unternehmen fehlen fast 140.000 IT-Fachkräfte[1]. Wie lassen sich diese Lücken schließen? Neue Technologien wie Low Code, die IT zugänglicher machen sollen, gelten als vielversprechender Ansatz. Dazu stand msg-Vorstand Dr. Stephan Frohnhoff – verantwortlich u.a. für den Bereich Personal – Rede und Antwort.
Herr Frohnhoff, was verstehen Sie unter Low Code?
Low Code soll die Erstellung und Entwicklung von Software vereinfachen. Das wird möglich durch spezielle Low-Code-Plattformen oder -Tools, die Programmieraufgaben auch für weniger gut ausgebildete IT-Kräfte zugänglich machen. Anwenderinnen und Anwender können dadurch auch ohne tiefgreifende Programmierkenntnisse Applikationen erstellen oder anpassen.
Der Fachkräftemangel stellt gerade auch die IT-Branche vor große Herausforderungen. Ist Low Code ein Allheilmittel?
Nein, hier von einem Allheilmittel zu sprechen, ist falsch. Low-Code schafft es zwar, fehlende Programmiersprachkenntnisse auszugleichen, das reicht aber bei weitem nicht, um dem Fachkräftemangel effektiv entgegenzuwirken. Entsprechende Tools können bei der Automatisierung von Aufgaben und insbesondere wiederkehrenden administrativen Prozessen helfen. Dadurch können sie IT-Fachkräfte entlasten, indem auch Mitarbeitende anderer Abteilungen einfache IT-Aufgaben erledigen können.
Qualifizierte Fachkräfte müssen aber betriebliche Prozesse erkennen und durchdringen und diese dann in Code übersetzen. Das ist nach wie vor eine äußerst anspruchsvolle Aufgabe. Low Code löst sie nicht.
Was muss stattdessen passieren?
Insgesamt muss die IT-Branche attraktiver werden. Für junge Menschen, für Frauen, für Fachkräfte aus dem Ausland und auch für Fachfremde. Das gelingt nur, wenn IT-Unternehmen in Deutschland als Arbeitgeber weiter an Attraktivität gewinnen – durch flexible Arbeitszeiten, gute Gehälter und spannende Entwicklungsmöglichkeiten. Doch auch das reicht nicht aus. Es ist wichtig, die Berührungsängste zur IT weiter abzubauen. Viele glauben nach wie vor, die IT-Branche sei ausschließlich etwas für Nerds, die in ihren stillen Kämmerlein programmieren. Das trifft höchstens auf einen ganz kleinen Teil des Aufgabenspektrums einer IT-Fachkraft zu. Hier können Technologien wie Low Code oder auch ChatGPT tatsächlich helfen.
Der Arbeitsalltag der meisten IT-Fachkräfte sieht allerdings ganz anders aus. IT hat viel damit zu tun, Bedarfe von Menschen zu erkennen und Geschäftsprozesse zu verstehen. IT-Expertinnen und -Experten sind heute für Betriebssysteme im betrieblichen Ablauf und für gesamtorganisatorische Prozesse zuständig. Und ja – arbeiten in der IT ist kreativ!
msg-Vorstand Stephan Frohnhoff über Low Code und den IT-Fachkräftemangel
Wie können diese Berührungsängste zu IT-Berufen konkret abgebaut werden?
Noch vor wenigen Monaten schien KI eine Technologie zu sein, die man nur mit tiefen Informatikkenntnissen durchdringen kann. Heute, mit ChatGPT oder auch Aleph Alphas Luminous, ist die Hemmschwelle allein aufgrund des Namens „Chat“ schon viel niedriger. Einen Chat kennt jeder und kann auch jeder bedienen. Die Nutzung der KI funktioniert also auch ohne algorithmisches Denken – das ist attraktiv und leicht verdaulich. Ähnlich verhält es sich mit Low Code. Denn hinter Low Code steckt ja eigentlich überhaupt kein Code, sondern eine Oberfläche, die jeder bedienen und zusammenklicken kann. Eigentlich sollte Low Code überhaupt kein „Code“ in Namen haben, um die Hemmschwelle weiter abzubauen.
Was meinen Sie: Wird es zukünftig eine Weiterentwicklung von Low Code geben, die es vermag, den Fachkräftemangel erheblich abzumildern?
Es gibt durchaus Bereiche, in denen Low-Code-Anwendungen noch verbessert werden könnten, um den Mangel an Fachkräften weiter anzugehen. Spannend sind natürlich auch die Entwicklungen und Fortschritte bei KI und maschinellem Lernen mit Blick auf die automatisierte Generierung von Codes. Trotzdem kann ich mir nicht vorstellen, dass der Fachkräftemangel dadurch behoben wird. Denn auch wenn technologische Mittel einige Arbeiten abnehmen, braucht es immer noch fähige Mitarbeitende, die diese in den richtigen Kontext setzen. Es wird einen Shift geben – der Mensch wird immer weniger eine ausführende Instanz sein und immer mehr zur Kontrollinstanz. Das zeichnet sich bereits heute deutlich ab.
[1] https://www.bitkom.org/sites/main/files/2022-11/Bitkom-Charts%20IT-Fachkr%C3%A4fte%2016%2011%202022_final.pdf