Sprung über die digitale Kluft

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Wie die Pharmaindustrie mittels Digitalisierung neue Wertschöpfungspotenziale erschließt

Dieser Beitrag schildert zentrale Herausforderungen, mit denen sich Life Science & Healthcare Unternehmen bei ihrer digitalen Transformation konfrontiert sehen: etwa beim Umgang mit Kundendaten, der Reduzierung von Papierdokumenten, einer Leistungssteigerung ihrer Supply Chains oder bei Compliance-Updates. Im Mittelpunkt stehen vier Handlungsfelder in der Pharmaproduktion, über die Führungskräfte diese Herausforderungen lösen und greifbare Mehrwerte für die Digitalisierung ihres Unternehmens schaffen können.

Zu jedem Handlungsfeld werden hierzu praxisbezogene Maßnahmen genannt. Wie man etwa schnelle Pilotanwendungen umsetzt, um kritische Prozessdaten online jederzeit abrufen zu können, veranschaulicht das Beispiel eines MEMS (Micro Electro Mechanical System) mit Sensoren, die die flexible Erfassung Auswertung wichtiger Parameter wie Druck, Temperatur, Feuchtigkeit in der Herstellung von Arzneimitteln ermöglichen.

Könnte Ihr nächster neuer Teamkollege ein Roboter sein? Vermutlich halten Sie das für eher unwahrscheinlich, falls Sie nicht in einer ohnehin bereits stark automatisierten Fertigungslinie eines Pharmaunternehmens tätig sind. Allerdings leisten maschinelle Helfer inzwischen viel mehr, als nur Wirkstoffe zu dosieren oder Pakete zu etikettieren. Softwareroboter (RPA, Robotic Process Automation) übernehmen zum Beispiel aufwändige Datenanalysen in allen Phasen der Arzneimittelentwicklung oder bei der Durchführung von Studien. Hilfreich ist das zum Beispiel, um eine geeignete Wirkstoffdosis nach pharmakodynamischen und -kinetischen Vorgaben schneller zu identifizieren – was wiederum humanbasierte Studien durch „in silico“-Simulationen und Tests ersetzen kann. Zudem werden uns Softwareroboter sukzessive immer mehr Routineaufgaben abnehmen, hinter denen einfache Prozessabläufe stehen, etwa bei Stückzahlenkontrollen oder im Workforce Management. In F&E reduzieren die Hilfsroboter Humanrisiken und beschleunigen Entwicklungszyklen; dort, aber auch über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg betrachtet ermöglichen sie somit erhebliche Zeit- und Kostenersparnisse.

Eine Digitalisierungsagenda mit solchen Zielen ist gerade für die Pharma- und Life Science-Industrie ebenso sinnvoll wie realistisch. Denn mit RPA & KI (Künstliche Intelligenz) und vielen weiteren Technologien stehen bereits genügend einsatzfähige und bezahlbare Werkzeuge zur Verfügung. Staatliche Forschungsinitiativen treiben diese Entwicklung inzwischen ebenfalls an. So startete zum Beispiel Anfang 2019 das Projekt „KI.RPA“: Gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) soll hier ein selbstlernendes System entstehen, dass Prozesswissen automatisiert erfasst und analysiert (1).

Allerdings: so vielversprechend KI-basierte Digitalisierungsszenarien in der Theorie klingen, so selten sind sie noch in der Praxis von Chemie-, Pharma- und Life Science-Unternehmen anzutreffen. Im Vergleich mit anderen Branchen positionierten sich diese in den vergangenen Jahren als „Schlusslichter“ in Punkto Digitalisierung (2). Was umso erstaunlicher ist, da dort viele Herausforderungen – Umgang mit Kundendaten, Reduzierung von Papierdokumenten, höhere Leistungsfähigkeit der Supply Chain – schon seit langer Zeit eine ebenso hohe Priorität haben wie bei Digitalisierungspionieren in der ITK- oder Finanzbranche.

Compliance- und Validierungsvorgaben schaffen Hürden

An mangelnder Sensibilität für das Thema liegt das nicht. Sondern vor allem an den erheblichen Compliance- und Validierungsanforderungen, die in der Chemie- und Pharmabranche zu erfüllen sind. Genau darin liegt die Crux: Einerseits verlangen Behörden wie die FDA möglichst viele Daten, um die Einhaltung der Vorgaben zu überprüfen – selbstverständlich in digitaler Form. Dagegen steht ein extrem großer Validierungsaufwand, den die Unternehmen betreiben müssen. Jede kleinste Änderung der Prozesse muss eingereicht, überprüft und genehmigt werden, um weiterhin gesetzeskonform zu produzieren. Diesen Aufwand scheuen viele Pharmaunternehmen immer noch. Hat ein Unternehmen beispielsweise eine 20 Jahre alte Tablettenpresse im Einsatz, werden in der Regel Papierausdrucke mit vorhanden Daten wie Zusammensetzung, Chargennummer o.ä. ausgedruckt und der Chargendokumentation beigelegt.

Dieses Vorgehen ist mit großem Aufwand und hohem Risiko verbunden: ein verlorener Ausdruck, eine falsch abgeschriebene Zahl führt schnell zu zeitintensiven Nachkontrollen. Solche Schwierigkeiten ließen sich natürlich mit neuem Equipment, die auch anschlussfähig zu weiteren IT-Systemen wäre, beheben. Anders als in anderen Branchen muss diese nun allerdings auch neu validiert werden, um weiterhin eine Produktion mit der exakt gleichen Qualität sicher zu stellen. Eben diese Investition, verbunden mit dem großen Aufwand, schreckt viele Unternehmen heute immer noch ab. Sie nehmen lieber das Risiko von Fehlern in der Dokumentation in Kauf.

Verhältnis Aufwand zu Ergebnis bremst Digitalisierung in Operations

Zugleich müssen Pharmaunternehmen jedoch auch jederzeit mit Inspektionen zu Produkt- und Prozesszertifizierungen rechnen. Sie sind verpflichtet sicherzustellen, dass Spezifikationen, Risiken, Tests und Änderungen stets korrekt validiert und damit gesetzeskonform sind – und sollten bei Inspektionen daher auch den Daten- bzw. Informationsfluss transparent darstellen können. Gerade in der Pharmaindustrie sind diese Kontrollen sehr streng, so dass hier eigentlich ein ausreichender Druck zur Beschleunigung der Digitalisierung vorhanden ist.

Vor allem zwei Umstände sorgen allerdings bislang für eine deutliche Kluft zwischen diesem Druck sowie den Chancen der Digitalisierung auf der einen und deren tatsächlicher Umsetzung auf der anderen Seite. Erstens ist es der bereits genannte Aufwand, den viele Unternehmen scheuen; tatsächlich sind Kostensteigerungen von bis zu 30 Prozent für einzelne Projekte keine Seltenheit. Nach dem Motto „Wir belassen alles beim Alten, denn da wissen wir, wie es funktioniert“ klammern sich viele Unternehmen daher lieber an den Erhalt des Status Quo.

Zweitens glänzen die wenigsten bereits umgesetzten Digitalisierungsprojekte mit einem beeindruckenden ROI (Return on Investment). Gerade dann, wenn die Fertigung mit einem hohen Automatisierungsgrad bereits stark auf Effizienz getrimmt ist. In diesem Fall amortisieren sich große Investitionen in neue Technologien und IT-Infrastrukturen rein rechnerisch erst nach Jahren. Die Worst-Case-Risikoszenarien eines veralteten Informationsmanagements mit Störungen und Ausfällen im Produktionsfluss und mit einer hohen Fehlerquote in der Dokumentation erscheinen vielen Unternehmen in Relation dazu – fälschlicherweise – als kalkulierbares Übel. Stattdessen investieren sie in zusätzliche Systeme, um die veralteten, fehleranfälligen Systeme abzusichern. Oder in ausgefallene Apps und Guerilla-Marketing-Kampagnen, die zu einer positiven, digital transformierten Außenwirkung beitragen sollen.

Drei Handlungsfelder für die digitale Transformation

Sinnvoller und ergiebiger ist ein dritter Weg: signifikante, aber auch kleine Abweichungen zu betrachten und auszurechnen, was man sich hätte sparen können, wäre der Prozess digitalisiert gewesen. Wenn es beispielsweise zu einem handschriftlichen Übertragungsfehler kommt, muss überprüft werden, ob es ein menschlicher Fehler war oder der Wert tatsächlich abweicht. Das kann Tage dauern. In einem digitalisierten Prozess hingegen ließe sich jeder Wert direkt plausibilisieren. Bei Abweichungen wäre beispielsweise ein Kommentar notwendig, warum es zu derartigen Abweichungen kam. Dies würde den Prozess deutlich beschleunigen. Vor solchen Schritten lohnt sich der Blick auf drei Handlungsfelder, die generell den Sprung über die „digitale Kluft“ in Chemie- und Pharmaunternehmen vereinfachen:

  • Sichere und effiziente Prozesse durch integrierte Datenflüsse schaffen
  • Transparenz durch die Onlineverfügbarkeit kritischer Prozessdaten herstellen
  • Prozessverbesserung durch innovative Technologien erreichen

Sichere und effiziente Prozesse durch integrierte Datenflüsse schaffen

Der digitale Reifegrad in einzelnen Pharmaunternehmen kann heute – überspitzt gesagt – durchaus noch der „Industrie 2.0“ statt einer „Industrie 4.0“ entsprechen. Dabei sind die Digitalisierungsoptionen seit Jahren vorhanden. Vor allem eine vertikale und horizontale Integration ihrer Datenflüsse, ein Leitmotiv der Industrie 4.0, würde branchenweit die Sicherheit und operationale Exzellenz steigern.

Beim vertikalen Datenfluss werden Daten beispielsweise auf MES-Ebene (Manufacturing Execution System) hin zur ERP-Ebene (Enterprise Resource Planning) geschrieben. Basierend auf den Ergebnissen lassen sich unterschiedliche Entscheidungen treffen: etwa anhand von Temperaturkurven, ob eine Charge freigegeben werden kann. Übermittelt man Daten aus dem MES der Produktion automatisiert zum LIMS in der Qualitätskontrolle, eröffnet das ganz neue Auswertungsoptionen und beschleunigt herkömmliche Prozesse im Tagesgeschäft. Anstatt zum Beispiel Papierprotokolle händisch über verschiedene Abteilungen und Wegstrecken zu verteilen, stehen die Daten in Sekundenbruchteilen den richtigen Mitarbeitern zur Verfügung.

Der Datenfluss an sich ist oftmals auch bereits in gut auswertbaren Strukturen vorhanden. Leider wird diese Chance zur Informationsgewinnung aber viel zu selten genutzt, da viele Unternehmen weiterhin auf Papier setzen. Vor allem im Zuge der Anschaffung neuer Maschinen sollte man dies anders gestalten: da die Maschine den Validierungsprozess bei Neuanschaffung sowieso durchlaufen muss, sind auch neuen Technologien direkt mit in den Prozess integrierbar. Dabei sind manuelle Eingaben und Medienbrüche so weit wie möglich zu reduzieren, um Fehlerquellen zu eliminieren.

Tipps:

  • Reduzieren Sie manuelle Eingaben und Medienbrüche.
  • Setzen Sie auf papierlose Produktion, Review-by-Exception.
  • Identifizieren Sie in einer Liste alle Punkte, die zur Sicherstellung von Compliance-Anforderungen notwendig sind (z. B. Data Integrity).

Transparenz durch die Onlineverfügbarkeit kritischer Prozessdaten herstellen

Für den Umstieg auf einen weitgehend papierlosen Informationsfluss per „Neustart“ sind die oft über Jahre gewachsenen Infrastrukturen in der Regel zu komplex. Große Unterschiede zwischen dem Reifegrad der „Kommunikationsfähigkeit“ von Maschinen und der weiteren IT-Infrastruktur lassen somit meist nur eine Weiterentwicklung in Einzelschritten zu. Ebenso muss natürlich das fachliche Knowhow der Mitarbeiter nicht nur für eine solche Integration, sondern auch für den weiteren, richtigen Umgang mit den (neuen) Maschinen und Technologien auf einem entsprechenden Stand sein. Das gemeinsame Ziel dieser Schritte sollte lauten, dass zuerst die vorhandenen Systeme bestmöglich miteinander korrespondieren: etwa, wenn die im MES validierten Daten aus Fertigungsprozessen automatisch an das ERP-System weitergegeben und dort verarbeitet werden (siehe hierzu Grafik 1).

Somit „zentralisiert“ das Unternehmen die wichtigsten Daten und kann so zum Beispiel die Herkunft verwendeter Chargen verfolgen, Abweichungen rückwirkend dokumentieren oder Basisprozesse wie Versand und Rechnungslegung mit Musterformularen vereinfachen. In der Fertigung liegt der Vorteil einer solchen „System-Korrespondenz“ darin, Produktionsmitarbeitern den Überblick zu kritischen Prozessdaten zu verschaffen – was wiederum zu schnelleren Managemententscheidungen mit besseren Ergebnissen führt.

 

Vernetzung von Informationssystemen in der Pharmaproduktion

 Vernetzung von Informationssystemen in der Pharmaproduktion

Grafik 1: Beispiel für die Vernetzung von Informationssystemen in der Pharmaproduktion.
Quelle: msg industry advisors ag

 

Ein weiterer konkreter Anwendungsfall in der Pharmaindustrie sind Temperaturkurven, deren vorab festgelegte Min./Max.-Werte man digital mit der Produktion vernetzt. Diese Daten werden gespeichert, ausgelesen und die Mitarbeiter können so Temperaturabweichungen jenseits des vorgegebenen Grenzwerts sofort erkennen. Zudem machen diese Informationen erfolgskritische Prozesse und Fehlerquellen transparent, was wiederum zu Optimierungen des gesamten Systems beiträgt.

Eine „Onlineverfügbarkeit“ der Informationen bedeutet in diesem Fall, dass Mitarbeiter innerhalb eines Standortes zu jedem Zeitpunkt auf alle für ihren Arbeitsbereich relevanten Daten zugreifen und zum Beispiel Prozessabläufe ablesen und Maschinenauslastungen in Echtzeit überprüfen können. Hilfreich sind in diesem Kontext auch Digitalisierungstechnologien wie Sensoren für die Datenerfassung, eine Bereitstellung von Daten via WLAN sowie die virtuelle Lokalisierung von Schwachstellen und Erschütterungen im Materialfluss. Sicherheitsbedenken erweisen sich hier oft als unbegründet, da Schnittstellen zu externen Online-Netzwerken nicht notwendig und Systeme zur direkten Maschinensteuerung ohnehin in gesondert gesicherten Netzwerken abgeschirmt sein sollten.

Tipps:

  • Nutzen Sie ein besseres Prozessverständnis auch, um Order Lead Time Kennzahlen zu verbessern.
  • Optimieren Sie auch die nicht regulierten Abschnitte bzw. Prozesse der Produktion; so können Sie etwa durch Predictive Maintenance Tools die Anlagenverfügbarkeit zusätzlich steigern.
  • Binden Sie das interne Engineering als wichtige Beratungsinstanz ein, um Hürden zu identifizieren und realistische Lösungsideen zu entwickeln.

Prozessverbesserung durch innovative Technologien

Bei der Einführung neuer Technologien sind viele Unternehmen – zu Recht – skeptisch: lohnt sich der Aufwand, Mitarbeiter, Zeit und Anschaffungskosten für Innovationen zu investieren, die beim ersten Einsatz schon veraltet sein können? Hier wirken entsprechende Erfahrungen aus den Dekaden der industriellen IT-Entwicklung nach. Doch die Digitalisierung setzt in dieser Hinsicht völlig neue Spielregeln: Hardware wie Sensoren, Kameras, Prozessoren sind zu wesentlich geringeren Einkaufspreisen und bereits mit industriespezifischen Modifikationen erhältlich (siehe hierzu Praxisbeispiel MEMS / Grafik 2). Zudem lassen sich viele Arbeitsschritte ohne teure Expertise von IT-Spezialisten digital abbilden, da entsprechende Softwarelösungen und IT-Plattformen wesentlich besser für Laien visualisiert und bedienbar sind.

Auch vor dem Hintergrund von Compliance- / Validierungshürden gilt für produzierende Pharma- und Life Science-Unternehmen dabei die gleiche Grundregel wie im Maschinenbau und der Automobilindustrie: es sind die kleinen, einzelnen Pionierprojekte an verschiedenen „Brennpunkten“, die in Summe zu einer erfolgreichen Digitalisierung führen. In der Pharmaindustrie lohnt sich zum Beispiel ein Praxistest der folgenden vier Technologien:

AR (Augmented Reality) - Brillen

Manuelle Tätigkeiten wie bei der Maschinenreinigung steuern Digitalisierungspioniere bereits mit AR (Augmented Reality) -Brillen, zwecks bestmöglicher Anleitung der Mitarbeiter: Dabei wird über die Datenbrille Schritt für Schritt der SOP-basierte Reinigungsprozess eingeblendet. Jeden erfolgten Arbeitsschritt bestätigt der Anwender durch eine Handgeste. Technisch ist diese Anwendung problemlos realisierbar. Offen sind derzeit noch Fragen zur GMP-gerechten Dokumentation. Die ersten Praxistests belegen aber, dass die Mitarbeiter schneller prozesssicher sind und sich somit die Arbeitsabläufe bei gleichbleibender oder sogar besserer Gründlichkeit verkürzen.

Wearables als digitale Guides

In der Linie sind neben AR-Brillen Wearables wie Datenhandschuhe oder Smartwatches hilfreich, um Mitarbeiter wie ein „digitaler Guide“ an jedem Standort Schritt für Schritt durch Arbeitsaufgaben zu führen. Sie ersetzen Handhelds, die die Arbeitsprozesse verlangsamen. Zudem werden Informationen nicht mehr auf Einzelgeräten gespeichert und „vergessen“: der Mitarbeiter muss zentrale Arbeitsschritte bestätigen, damit es weitergeht. Zugleich werden die dadurch generierten Daten automatisiert an das System übermittelt. Alle Schritte im Produktionsprozess oder der Logistik sind so nachvollziehbar, überprüfbar und zusätzlich abgesichert.

Robotic Process Automation (RPA)

Die bereits eingangs genannten Softwareroboter / RPA sind in der Pharma- und Chemieindustrie besonders nützlich, um schneller Dokumente bzw. Daten aus verschiedenen Quellen zusammenzuführen, miteinander abzugleichen und Plausibilitätschecks durchzuführen. Abweichungen von vorher festgelegten Standards werden so sofort sichtbar und die Mitarbeiter können entsprechend reagieren. Gerade die hohe Qualität der Ergebnisse, die Geschwindigkeit und die 24/7 Verfügbarkeit sprechen für die Automatisierung dieser Prozesse. Die Nutzung von RPA stellt zudem keinen Eingriff in die bestehende IT-Landschaft dar, sondern verbindet die bestehenden Komponenten durch einen schnittstellen- und systemübergreifenden elektronischen Workflow. Hinzu kommt, dass die Arbeit in der Pharmaindustrie in der Regel sehr personalintensiv ist: viele Aufgaben bestehen lediglich darin, Daten zu überprüfen und händisch von einer Anwendung zur nächsten zu transferieren. Dies können RPAs in der Regel in höherer Qualität und Reproduzierbarkeit erledigen. Der modulare Aufbau der automatisierten Prozesse sorgt dabei für die nötige Skalierbarkeit im Betrieb. Alle Handlungen eines RPAs sind genauestens dokumentiert und somit jederzeit nachvollzieh- und überprüfbar.

Digital Twins

„Digitale Zwillinge“ sind auch in der Pharmaindustrie ein entscheidender Schritt in Richtung Industrie 4.0. Hierbei kann es um die virtuelle Abbildung einer realen Maschine, aber auch eines kompletten Produktionsprozesses gehen (Digital Process Twin). Die Vorteile überwiegen: Alle Daten der gesamten Anlage, der einzelnen Komponenten sowie Wartungsinformationen finden sich an zentraler Stelle. Gerade im Bereich der Fehleridentifizierung bringt der digitale Zwilling große Vorteile. Fehler werden automatisch gemeldet, lokalisiert, identifiziert. So können die Mitarbeiter – geführt durch beispielsweise ein Tablet – direkt mit der Reparatur oder Wartung beginnen. Dem Mitarbeiter wird anhand des virtuellen Modells angezeigt, wo genau sich der Fehler befindet und welche Teile zur Behebung notwendig sind. Maschinenstillstandzeiten lassen sich so deutlich reduzieren und bei geplanten Veränderungen im Produktionsfluss per Vorabsimulation im Computer direkt ausschließen.

Tipps:

  • Setzen Sie bei einfachen Punkten an, um mit Augmented Reality Zeit zu sparen: etwa beim Changeover an der Verpackungslinie oder mit Meldungen zum Nachfüllen von Chargen.
  • Vereinfachen Sie mit Wearables Authentifizierungen, etwa über elektronische Unterschriften oder die Bilderkennung.
  • Kleine, einfache Technologielösungen machen die Digitalisierung auch als Kulturwandel greifbar – fördern Sie Pilotprojekte in kleinen Teams, etwa zum Experimentieren mit Wearables.

MEMS verarbeiten auf kleiner Fläche mechanische und elektrische Informationen. Als günstige und leistungsfähige Sensoren erlauben sie den schnellen Aufbau von Pilotanwendungen. Im Alltag kommen MEMS-Komponenten bereits u.a. als Erschütterungsmesser in Airbags und Smartphones sowie als thermische Strömungssensoren in Klimaanlagen zum Einsatz. Einsatzfelder im Pharma- und Life Science-Sektor können zum Beispiel die Pumpenkalibrierung, Mikrofluidik oder medizinische Dosierung sein. Insbesondere ein barometrischer Drucksensor, der kontinuierlich Luft-Flüssigkeits-Gemische den Umgebungsbedingungen anpasst, eröffnet hier interessante Einsatzoptionen.

 

Anwendungsbeispiele für ein Micro Mechanical System

Grafik 2: Anwendungsbeispiele für ein Micro Mechanical System. Quelle: msg industry advisors ag

 

Gemeinsam Wertschöpfungspotenziale nutzen

An praktikablen technologischen Innovationen mangelt es also nicht. Aber gute Werkzeuge übernehmen nicht den entscheidenden Part dabei, die digitale Kluft im Unternehmen zu schließen. Dies liegt nach wie vor – und sicherlich auch in Zukunft – in erster Linie in der Verantwortung der Mitarbeiter. Dieser Herausforderung müssen sich vor allem die Führungskräfte stellen: wie bringen sie den Mitarbeitern die Digitalisierung nahe? Wie entkräften sie Ängste und Vorurteile und überzeugen ihre Teams von den Vorteilen einer digitalen Fabrik? Was motiviert das Team, gemeinsam neue Wertschöpfungspotenziale zu identifizieren – sei es bei Papiereinsparungen, kürzeren Wegen oder neu gestalteten Arbeitsplätzen? Dieses Umdenken gelingt, wenn die Mitarbeiter möglichst frühzeitig in den Prozess der digitalen Transformation mit einbezogen werden.

Offenheit und ein proaktiver Einsatz sind außerdem der richtige Weg, um in Validierungsprozessen mit den zuständigen Behörden rechtzeitig das Gespräch zu suchen. Denn wer Veränderungen frühzeitig mit entsprechenden Stellen diskutiert, kann die Hinweise für die regelkonforme Umsetzung direkt in seinen Prozess der digitalen Transformation integrieren. Mit den geschilderten Schritten trägt dies in Summe erheblich dazu bei, sowohl die „digitale Kluft“ im eigenen Unternehmen, aber auch beim Anschluss an die digitalisierte Unternehmenswelt zu schließen.

Quellenangaben

(1) Projekt KI.RPA: https://www.aws-institut.de/ki-rpa

(2) Branchenatlas Digitale Transformation, Bezug über http://www.di-i.org/impulse/praxishilfen/branchenatlas-digitale-transformation

Autor

msg Christoph Piller

Christoph Piller | Vice President Life Science and Healthcare

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